Bewegung im Wechsel zwischen
Yin und Yang
Zwischen den Polen Yin und Yang findet ein ständiger, zyklischer Wechsel statt. Auch die Bewegungen unseres Körpers, der Seele und des Geistes entstehen aus dem ständigen Wechselspiel von Yin und Yang. Dabei ist das Yin, unser materieller Körper, die Voraussetzung für energetische Prozesse (wie z.B. Körperwärme, Verdauung, Atmung oder Bewegung); umgekehrt sind diese energetischen Vorgänge die Voraussetzung dafür, den Körper am Leben zu erhalten. Im Qigong (und im Taijiquan) nutzen wir den Wechsel von Yin und Yang in den Bewegungen, um die Lebensenergie "Qi" 气 zu lenken und so die natürlichen Körperprozesse gut zu unterstützen.
Die äußeren Bewegungen des Körpers im Qigong sind stets verbunden mit inneren Bewegungen des Qi 气 . Wenn die äußeren Bewegungen automatisiert, koordiniert und "rund" ablaufen, kann sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Wahrnehmung der inneren Bewegungen richten - darauf, was sich innerkörperlich, mental und emotional verändert, wenn wir uns bewegen. Zu Beginn lenkt der Körper über die Wahrnehmung von Muskelspannung und -kraft Li 力 das Qi 气 . Mit zunehmender Übung kehrt sich das nach und nach um: Die Vorstellung Yi 意 führt die innere Bewegung des Qi 气, und das Qi 气 lenkt die Bewegung über die Muskelkraft Li 力.
Die innere Bewegung des Qi 气 wird an einfachen, vertrauten Bewegungen wie dem Aufstehen von einem Stuhl auch für Anfänger:innen ganz gut nachvollziehbar. Führe die äußere Bewegung mehrfach achtsam aus und achte dabei auf alle Veränderungen im Körper: auf die Anspannung und Entspannung verschiedener Muskeln im Lauf der Bewegung (nicht nur in den Beinen, sondern an jeder Stelle des Körpers!), auf den sich verändernden Druck in den Gelenken, Fußsohlen und Sitzfläche, auf die sich verändernde Neigung des Körpers, auf Biegung der Wirbelsäule, auf Ausgleichbewegungen der Arme und Hände und des Kopfes. Achte auch auf Empfindungen von Stabilität oder Unsicherheit oder auf den Impuls, sich schnell durch eine Bewegungsphase "durchzumogeln", weil du aus dem Gleichgewicht zu kommen scheinst.
Dann gib dir im Sitzen wieder den Befehl aufzustehen, aber bleibe sitzen und stehe nur in der Vorstellung auf - so wie ein Skispringer oben auf der Sprungschanze den gesamten Sprung mental durchspielt, bevor er sich abstößt. Spüre dabei nach, wie dein Körper auf diesen Befehl reagiert, wie dieselben Muskelgruppen in der selben Reihenfolge angesprochen werden wie bei der wirklichen Bewegung. Und versuche, bei jeder Wiederholung die Arbeit der Muskeln immer mehr zurückzunehmen, bis du den Bewegungsablauf des Aufstehens wirklich "nur" noch in der Vorstellung in jedem Detail nachvollziehst. Sobald dir das gelingt, leistest du innere Arbeit (Nei Gong 内功) mit deinem Qi 气. Die Wirkung ist sehr ähnlich der der tatsächlichen äußeren Bewegung.